Mittwoch. Adam war nicht in Schönbrunn oder schon am Morgen. In der Frühe war es noch heiß und der Himmel kobaltblau, aber während ich schwamm, ist es grau geworden und kalt. Die Sonne kam noch einmal heraus und es war so magisch wie manchmal, aber es war in ein paar Minuten wieder vorbei. Adam ist nicht gekommen. Solange ist falsch. Sie hat mich als erstes gefragt, ob er da sei. Ich habe sie gefragt, ob sie gestern noch mit ihm gesprochen hätte, nein, überhaupt nicht. Dann hat sie wieder mit ihren Weisheiten angefangen, er lache immer, denn das Feuer lache immer. Sie weiß überhaupt nichts von ihm, nicht einmal, wann er wirklich geboren ist, aber behauptet frisch und fröhlich, er sei von Feuer, weil sie annimmt, dass er 1975 geboren ist. Bin wütend geworden und habe zu ihr gesagt, dass er mit mir nicht lustig sei, dass ich nicht wisse, ob das Feuer lustig sei. Sie war pikiert, aber ich bin gleich weiter geschwommen. Später haben wir uns am Klo getroffen und sie hat behauptet, dass er noch kommen werde. Ich habe ihr erklärt, dass er gestern gesagt hätte, er käme nur, wenn schönes Wetter sei. Sie hat zornig gesagt: Das hat er wirklich gesagt, der Idiot! Das war jetzt wohl eindeutig. Sie ist scharf auf ihn. War deshalb richtig froh, dass er nicht gekommen ist. Von gestern habe ich noch immer so ein warmes Gefühl für ihn, von ihm. 

Freitag, 16.7.1999 Hatte Kopfweh und Solange hat mich massiert, sie saß auf der Pritsche und ich auf dem Boden vor ihr und Adam ist vom Schwimmen gekommen, hat sich wieder ein Cola light geholt, das sei nicht so bitter wie das Andere, er hat uns gesehen, ich hab ihm gewinkt, er hat sich ganz selbstverständlich zu uns gesetzt. Solange beruhigt ihn. Ich allein mache ihn nervös, das hält er nicht aus. Sie haben sich unterhalten, sie hat ihn so richtig ausgefragt, ich bin immer wütender geworden, aber gleichzeitig habe ich interessiert zugehört. Jetzt habe ich so lange gewartet, dass mir Adam etwas von sich erzählt und sie ist gekommen und hat ihm alle Geheimnisse auf einmal entlockt! Er ist nicht Feuer und nicht Drache und alle ihre Theorien sind falsch, aber er hat am gleichen Tag Geburtstag wie Ingeborg Bachmann und ist im selben Jahr geboren, in dem sie gestorben ist. Ich habe ja immer gewusst, dass sie ihn mir geschickt hat, denn ich habe MALINA jedes Jahr einmal oder zweimal gelesen. Er hat uns erzählt, dass seine Schwester einen Mann aus Alexandria geheiratet hätte und erklärt: So schließt sich der Kreis! Solange ist in Alexandria geboren. Ich habe ihn erstaunt gefragt: Du hast eine Schwester! Ich habe drei Schwestern! Wo sind die? Er hat nichts gesagt. Solange hat mich überredet, Adam ins Café einzuladen. Ich habe nachgegeben, habe all meinen Mut zusammen genommen und ihn gefragt, ob er mitkomme, er hat gezögert und mich zweifelnd angeschaut, ich habe gerufen: Viens! und er hat es sich überlegt und JA gesagt, hat sich höflich ein gelbes T-Shirt angezogen, auf dem Weg hat Solange zu ihm gesagt, dass sie auch Krebs sei, ich habe gesagt, dass Krebse kapriziös seien, er hat gesagt, Krebse seien launisch, er sei launisch. Alle Menschen sind launisch. Er kommt mir aber so ruhig und ausgeglichen vor, ich habe Angst vor launischen Menschen. Laurenz ist wirklich launisch. Als wir im Pavillon waren, dem Café des Schönbrunner Bades, haben wir sofort zu streiten begonnen, weil Solange in einer Ecke sitzen wollte und wir beide beim Fenster, um zum Wasser zu sehen. Wir haben Kaffee getrunken, er hat nachgeschaut, ob Milch darin ist, denn er darf keine trinken. Habe ihn gefragt, was dann passiere: Dann bekomme ich Bauchweh! Es sei gar nicht gesund, so viel Milch zu trinken, dass man sie verdünnen sollte wie bei den Katzen. Ob er Katzen mag? Ich komme aus einer Försterfamilie! Solange ist aber sofort wieder davon gelaufen, weil sie plötzlich ihre große Liebe, den Psychoanalytiker, aus dem Fenster gesehen hat. Adam ist unruhig geworden und hat mich gefragt, warum sie schon wieder gehe. Ich habe es ihm erklärt. Er hat mir nicht geglaubt. Wahrscheinlich hat er alles für ein abgekartetes Spiel gehalten. 

Er hat mir erzählt, dass sie in Schwaz gewohnt hätten, gegenüber dem Eiblschrofen. Heute in der Früh ist in der Zeitung gestanden, dass die Felsen von diesem Schrofen stürzen und die Bewohner evakuiert werden mußten. Habe ihn aufgefordert, mir seinen Lebenslauf zu erzählen, das interessiert mich. Er ist bei seinen Großeltern in Tirol aufgewachsen bis er sechs Jahre alt war, so wie ich, aus meiner Jugend weiß ich, dass die wilden Pferde in den Pampas, die einmal mit dem Lasso gefangen worden sind, ihr Leben über etwas Ängstliches behalten. (Sigmund Freud) Er hat mir erzählt, dass sie in Wien gewohnt hätten, aber dann wieder auf's Land gezogen seien, weil seine Eltern gemeint hätten, auf dem Lande seien die Schulen viel besser. Das stimmt auch! Er war nicht überzeugt. Sie seien ins Waldviertel gezogen, weil sein Vater dort ein Revier bkommen hätte. Er war oft im Haller Schwimmbad, eines Tages wird er im Haller Schwimmbad über 800m Freistil gewonnen haben, ich habe immer gewusst, dass ich ihn von früher kenne, er wehrt ab, sie seien ja nicht so oft im Haller Schwimmbad gewesen, in Jenbach gäbe es ja auch eines, er jedenfalls könne sich nicht erinnern, ich hatte als Kind weißblonde Haare, ich kann mich sehr gut an ein Kind mit weißblonden Haaren erinnern, ich sehe es vor mir, wie es beim Brunnen steht, um Wasser zu trinken…. Ich sage: Ach, du musst ein Jahr alt gewesen sein, mir sind immer alle Kinder nachgelaufen, ich bin 1962 geboren! Das hat er nicht erwartet, er hat nachdenklich geschaut. Er ist in Innsbruck geboren. Warum waren deine Schwestern nicht in Tirol, warum weiß deine Mutter nicht, um wie viel Uhr du geboren bist? Solange hat ihn gefragt, um wie viel Uhr er geboren sei, er sagt, das wisse er nicht, sie drängt, er solle seine Mutter fragen, er sagt resigniert, seine Mutter wisse das sicher nicht, danach war es ganz ruhig, als ob sie an ein Tabu gerührt hätte. Ich lächle ihn an, weil ich weiß, dass Solange heimlich sein Horoskop ausrechnen will und mich freue, dass er es ihr nicht gesagt hat. Er lächelt zurück. Das lässt mir keine Ruhe, Fragen über Fragen…. Er hat erzählt, dass ihm sein Großvater schon mit drei Jahren Schwimmen beibringen musste, weil seine Mutter nicht auf ihn aufpassen wollte, denn er sei immer, wenn er Wasser gesehen hätte, sofort hingelaufen; wie ich. Ich wäre mit zwei Jahren fast ertrunken in einer Regentonne und mein Großvater hat mich gerettet. Und im Haus der Begegnung in Innsbruck bin ich bei einem Kongreß wieder ins Wasser gefallen, weil mich jedes Wasser magisch angezogen hat und meine Mutter musste mich abtrocknen, statt sich den Vortrag anzuhören. Wir haben uns darüber unterhalten, ob Babys schwimmen können, ich habe gesagt, die frisch geborenen Babys können es schon, denn im Fruchtwasser schwämmen sie ja auch, dann vergehe es wieder. Adam hat gesagt, da gäbe es einen Film. Ja. Er hat mir erzählt, dass seine Mutter aus Hamburg sei, hat wieder so ängstliche Augen bekommen wie damals, als ich ihm das Buch über den Holocaust geschenkt habe, er würde vor Scham am liebsten im Boden versinken. Was hat er denn? Ich will ihn beruhigen. Das habe ich mir gedacht, die Österreicher haben eine so schlampige Sprache. Er schaut mich erfreut an: Seit ich am Theater arbeite, ist meine Sprache auch so schlampig geworden. Er erzählt, dass seine Mutter getingelt sei, als ob es das Selbstverständlichste wäre. Wir schauen uns aus dem Fenster die Schwimmer an, er macht sich lustig über einen, der das Becken falsch bewegt. Sag mir lieber, was ich falsch mache! Du hast den Kopf immer oben, du atmest nie unter Wasser aus! Dabei bin ich so stolz darauf, dass ich es jetzt kann! Nein, du hast das Genick immer über Wasser. Ja, weil ich dich beobachten muss…. Er ist streng, das mag ich. Er meint, er könne das nicht, das sei ihm zu anstrengend. Heute Morgen habe ich Klaus gefragt, er meinte, es stimme schon. Vielleicht ist Adam ehrlich und Klaus nicht? Adam ist aggressiv geworden und hat gesagt, dass Brustschwimmen eh so fad sei. Ich habe mich gerächt und gesagt, dass Kraulen mir nicht gefalle, weil es so abgehackt ausschaue. Er hat es ungläubig wiederholt. Nein, bei dir nicht, du schwimmst so elegant, aber bei den meisten Leuten schaut es abgehackt aus. Es lag so eine Spannung in der Luft, dass wir uns irgendwie abreagieren mussten. Er hat gesagt, dass er jetzt gehen werde, dass er noch einmal kraule, wenn er schon da sei. Er wollte bezahlen, ich habe gesagt, dass ich ihn einlade, ich habe ihn ja aufgefordert, mitzukommen. Mir ist ein Zwanzigschilligschein auf den Boden gefallen, Adam hat ihn aufgehoben. Lass alles fallen, ich hebe dir alles auf! (Ingeborg Bachmann) 

Habe zu ihm gesagt, dass ich Kopfweh hätte, er hat gesagt: Ich habe immer Kopfweh, nicht nur heute! Heute hätte er Kopfweh, weil er gestern mit seiner Vorgesetzten trinken musste, er bekäme auf alles Kopfweh, sogar auf Wodka, obwohl man sage, da sei etwas nicht drinnen, was sonst in jedem Alkohol drinnen sei. Hat er Methanol gemeint? Ich habe ihm erzählt, dass ich seit zwei Jahren nicht mehr Kopfweh hätte, seit ich so viel schwimme, aber heute sei es wieder gekommen. Er hat mir, als wir die Stiege vor dem Café zum Becken hinunter gingen, vom Theater erzählt, dass sich zur Zeit das Personalkarussell drehe und dass Köpfe rollten. Habe ihn gefragt, ob er daran schuld sei. Er hat gleichzeitig genickt und den Kopf geschüttelt. Die Leute dort könnten alle nicht bis zehn zählen und die, die bis elf zählen könnten, seien schon gut. Das hat mich an Hannah Arendt und Heidegger erinnert. Als sie VITA ACTIVA veröffentlichte, als Antwort auf SEIN UND ZEIT, war er böse auf sie und sie meinte, das geschähe ihr recht, denn sie hätte bei ihm immer so getan, als könne sie nicht bis drei zählen. Als er gesehen hätte, dass sie bis vier zählen könne, hätte er ihr das nie verziehen. Er meinte, es sei nur eine einzige Frau dort, die gut sei. Habe ihn gefragt, was er tue, damit ihm das nicht passiere. Man müsse sich unabkömmlich machen und auf das richtige Pferd setzen. Er sei der Fels in der Brandung, ich auch, ich habe ihm erzählt, dass wir in ganz Österreich telefonierten und dass die Leute aus dem Waldviertel am freundlichsten seien, ich freue mich immer, wenn ich mit jemandem aus dem Waldviertel telefoniere, er hat gelächelt. Warte, ich hab doch gerade jemandem von deinem Institut eine Einladung geschickt, dem Brettschneider? Dem brauchst du keine Einladung schicken, der ist eh so reich, das ist eine Gratisfresserei, das ist doch immer so, ja, ich weiß. Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen! Gehen wir einmal essen? Warum nicht im Schönbrunnerbad, mich interessiert die Gastronomie, die sie hier haben. Er hat gelacht und vorgelesen, was schon seit Wochen auf der Tafel stand: Knödel mit Ei! Ich habe ihn gefragt, ob er nie im Kamp schwimme, der sei ja so seicht, da könne man nicht schwimmen, aber in den Kamptalstauseen sei es schön, da könne man kilometerlang schwimmen, ohne jemandem zu begegnen. Ich habe ihm vom Piburgersee erzählt, den kennt er nicht. Er hat gemeint, dass sie oft in Lans waren, wir auch, und im Achensee, aber der sei so kalt, ich habe genickt und gelächelt, ich kenne die alle. Im Achensee bin ich geschwommen, als es so heiß war, der See hatte 18 Grad, es sticht, wenn du untertauchst, aber danach bist du anstandig abgekühlt. Er müsse noch mit dem Rad nach Hause fahren, ich wußte nicht, warum er das sagt und habe ihn gefragt, ob es regnen wird. Er hat NEIN gesagt. Jetzt weiß ich, dass er mit dem Rad fährt. Bin ich ihm deshalb nie in der Straenbahn begegnet?

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