Werde einmal eine Abhandlung über die gut gelüfteten Räume bei Thomas Bernhard schreiben. Habe plötzlich begriffen, wie das Stadthallenbad konstruiert ist: von der Kassa aus kannst du durch ein rundes Fenster in die Trainingshalle schauen. Vorher hatte ich keinen Begriff davon, wo was liegt. Es war, als ob ich ein psychisches Rätsel gelöst hätte, als ob ich plötzlich nicht nur die Struktur der Schwimmhalle, sondern auch meiner Seele begriffen hätte. Es muss etwas bedeuten, dass Adam immer beim seichten Ende ins Wasser geht, dort, wo der Eingang ist, und ich immer beim tiefen Ende, dort, wo die Hütteldorferstraße ist. Als ich kam, war es ein Uhr, habe das gelb-türkise Brett aus den Augenwinkeln gesehen, er war schon im Wasser. Ich habe mir die Schwimmhalle genauer angeschaut, weil ich wissen wollte, auf welcher Seite sie höher ist. Alles wird offen gelegt, jede Leitung, die Trägerrohre müssen gewölbt sein, aber die Konstruktion ist so gefinkelt, dass du dir nie sicher kannst, wie hoch oder tief der Raum wirklich ist. Ich habe immer angenommen, dass die Halle da, wo der Sprungturm steht, höher ist, aber sie scheint auf beiden Seiten gleich hoch zu sein. Die Schwimmhalle ist ungefähr so alt wie Adam. Als ich vom tiefen zum seichten Ende schwamm, sah ich, dass er in der siebten Bahn steht und wartet. Ich habe ihm zugerufen, ob er heute nicht arbeiten müsse, er hat JA gesagt und gelächelt. JA hat er gesagt.Ich weiß schon alles über dich! Er hat wieder JA gesagt und mich freundlich angeschaut, ich bin weiter geschwommen. Einmal dachte ich, er sei schon gegangen und habe das Becken irritiert danach abgesucht, wohin er verschwunden ist, er muss es bemerkt haben, denn er schwamm noch auf und ab. Wir haben uns angelächelt im Schwimmen. Um zwanzig nach eins hat er mit seinem Training aufgehört, ich war noch ganz oben, aber er hat auf mich gewartet. Er stand in seiner Bahn und hat sich nicht bewegt. Als ich kam, hat er mit seinen Streckübungen angefangen. Ist er doch durchtrieben? Ich bin stehen geblieben und habe ihm zugeschaut, er hat gesagt Ich bin fertich. Ist aus dem Wasser gesprungen und hat gerufen Bis nächste Woche!, ist am Beckenrand stehen geblieben und hat noch einmal gerufen Bis nächstes Mal! Ich habe ihm nachgeschaut wie er mir gestern. Hat er es gesehen? Er ist nicht über das Mäuerchen gestiegen, sondern den ganzen Weg ausgeschritten. Ich bin weiter geschwommen, in der Garderobe hat sich Ruveni von mir verabschiedet. Sie hat auch Bis zum nächsten Mal! gesagt und mich gefragt, wie ich heiße. Ich habe Adam gefragt, ob er nie etwas isst, er hat mich gefragt wieso und ich habe gesagt, weil du so einen dünnen Bauch hast. Er hat böse geschaut, es war so, als ob er plötzlich begriffen hätte, dass er nackt ist. Wollte er mich reizen? Hat er begriffen, dass er mich reizt oder tut er es absichtlich? Ist es ein Fehler, ihm Komplimente zu machen?

Heute bin ich wieder 80 Längen geschwommen, obwohl ich gar nicht so motiviert war. Danach bin ich mit dem 48A in die Stadt und mit dem D in die Berggasse gefahren, habe das Buch Nachtschwimmer in der Buchhandlung Löwenherz geholt, das wollte ich schon immer haben. Dann bin ich ins Blaustern gegangen, um es zu lesen. Habe mich so hingesetzt, dass ich das ganze Lokal überblicken kann und es mir genau angeschaut. Ich muss es photographieren, es ist das einzige Lokal in Wien, das so ein Raumgefühl gibt wie das ehemalige RING. In der Danksagung der Nachtschwimmer steht, dass ihm das Buch von Charles Sprawson, The Haunt of the Black Masseur, beim Schreiben sehr geholfen hätte. Es gehe um die vom Schwimmen besessenen Dichter. Solche Zusammenhänge machen mich wahnsinnig. Am Tag, nachdem ich ihm das Buch geschenkt hatte, ist er mir wirklich schadenfroh vorgekommen. Ich bin mit dem 37er über die Döblinger Hauptstraße gefahren und dann mit dem 10A nach Hause. Ich reise ständig, nur nicht nach außen, sondern ins Innere Wiens. Heute hat Adam wirklich auf mich gewartet!

Von einem total verwahrlosten Haus geträumt, habe ständig gedacht, dass ich es renovieren lassen muss. Das Renovieren bezieht sich auf die Dringlichkeit, ein Kapitel zu schreiben. Am Samstag bin ich mit dem 66A in den XXIII. Bezirk gefahren und habe mir das Haus von Helmut Richter auf der Brünnerstraße angeschaut. Über dem Haus war ein Regenbogen, die Gegend ist vollkommen flach, Wiener Becken, reizvoll.

War um dreiviertel Eins im Wasser, wusste nicht, ob Adam arbeiten muss, kurz vor halb zwei ist er aus dem Nichts aufgetaucht und über das Mäuerchen gestiegen mit seinem pullbuoy in der Hand. Bin nach unten zu ihm geschwommen, wollte vor allem vorsichtig sein, weil er sicher wieder beleidigt war. Als er bei meiner Bahn war, hat er sich vorgebeugt und mir gewinkt und leicht gelächelt. Ich habe zurück gelächelt. E hat sich auf den Beckenrand gesetzt und gerade aus geschaut. Er macht das immer, um zu schauen, welche Bahn besser ist. Zuerst war er in der siebten Bahn und ich in der Sechsten, weil sie nicht abgesperrt war. Ich habe ihn angelächelt, wenn er mich überholt hat, zuerst war er skeptisch, aber dann hat er auch gelächelt. Einmal hat mich jemand berührt, ich wusste nicht, wer das war, da ist er an mir vorbei geschwommen. Wir waren immer schneller als alle anderen. Ich bin 70 Längen geschwommen, weil Adam noch immer im Wasser war. Als ich fertig war, ist er 5 Sekunden vor mir stehen geblieben. Ich bin auch stehen geblieben, habe mich gestreckt und mir überlegt, was ich jetzt tun solle. Bin aus dem Wasser gesprungen und habe seinen Namen gerufen und mich verabschiedet. Er hat verwundert zu mir her geschaut, dann hat er gesagt, dass er auch gleich gehe. Ich habe Komm! gerufen, er hat gesagt Ich mache noch ein bisschen Streckübungen. Habe mit den Schultern gezuckt: Ach du mit deinen Streckübungen! und bin gegangen, er hat Tschüss gesagt. Hat er nicht schon wieder NEIN gesagt? Ist das nicht deutlich genug? Warum begreife ich es nicht? Ist es nicht ein Zeichen, dass ich ihn nie vor der Stadthalle treffe? Es kann ja sein, dass er sich überhaupt nicht duscht und föhnt und einfach in sein Auto steigt. Oder braucht er so lange? Hat er überhaupt ein Auto? Ich weiß nichts von ihm. Hat er mir nachgeschaut? Er hätte ja sagen können, dass ich auf ihn warten solle oder ich hätte ihn fragen können, ob ich auf ihn warten solle oder ich hätte es einfach tun können. Er sagt aus Prinzip immer nein. Vielleicht ist er einfach geizig. Er ist so klein, hätte ich ihn jemals beachtet, wenn er nicht so schön schwimmen könnte? Ich hatte keine Angst mehr, seinen Namen zu rufen und ich habe ihn gefragt, ob er komme. Mehr kann ich nicht tun. Das ist alles. War es nur Taktik, nein, er macht immer Streckübungen nach dem Training.

Heute war Adam wieder so liebenswürdig, dass ich ganz traurig geworden bin. War schon im Wasser, als er kam, es war so viel los, dass ich ihn zuerst gar nicht gesehen habe. Er kam auf meine Bahn zu, aber als er über mir stand, hat er mich nicht begrüßt und mich nicht angeschaut. Bin wieder zurück nach oben geschwommen, voller Entsetzen. Habe gedacht, jetzt ist es aus. Ich habe beinahe geweint, konnte die Wassertropfen und die Tränen nicht unterscheiden. Ich habe nicht zu ihm hin geschaut, ich wagte es nicht. Er schwamm neben mir in der sechsten Bahn und nicht wie sonst immer in der Siebten. Was hatte er nur? Wir schwammen und schwammen. Die vielen Leute haben sich langsam verlaufen, einmal habe ich ihn doch angeschaut, als er an mir vorbei schwamm, habe aber nicht gelächelt. Nach einer Weile ist er unten stehen geblieben und hat Hallo gerufen, ich habe ihn gefragt, ob er schon wieder beleidigt sei und er hat wieso? gefragt, hat sich weg gedreht und eine Weile gar nichts gesagt. Dann hat er sich wieder mir zugewandt und gejammert, dass er nie in seinen Rhythmus komme, wenn so viele Leute in seiner Bahn seien. Er hat verächtlich gesagt Diese Brustschwimmer! Sag nichts gegen die Brustschwimmer! Da hat er gelacht. Ich habe zu ihm gesagt, dass er eine Bahn für sich allein bräuchte, er hat gefragt, warum man diese Bahnen nicht mieten könne, am Tennisplatz gehe das ja auch. Spielt er Tennis, ist er nicht ein Snob? Ich habe ihn gefragt, ob er in der Trainingshalle nicht schwimmen könne, er meinte das sei nur für Schulen und Schwimmvereine. Und wenn niemand dort ist? Das ist nicht erlaubt, die sind da ein bisschen komisch. Er hat zu mir gesagt, dass er jetzt in die andere Bahn gehe und hat sein Brett genommen, ist unter der Leine durchgeklettert, ich habe Baba gerufen, er hat zurück gerufen Wir sehen uns schon noch! Wer weiß! Wir sind weiter geschwommen, bin wieder 70 Längen geschwommen, als ich bei der vorletzten war, sah ich jemanden in meiner Bahn herum turnen, er hatte eine schwarze Badehose an, ich war noch ganz oben, so dass ich nicht genau gesehen habe, ob er es ist. Da hat etwas Gelbes geleuchtet, kurz, bevor ich beim shallow end ankam, ist er vor mir aus dem Wasser gesprungen. Er war es wirklich! War er schon fertig mit seinen Streckübungen? Ich habe ihm gedeutet, dass ich noch eine Länge schwimmen werde, er hat gesagt, dass er noch einen kleinen Film drehen müsse, er hat so gelächelt, wie wenn einen jemand sehr gern mag und es so deutlich zeigt und einen das verlegen macht. Ich habe gefragt Über das Hungersterben? Er meinte, den habe er auf Eis gelegt. Er hat den Filmtitel herunter geleiert: Fundamentalismus und Kapitalismus - Zerstörer der Freiheit, habe es wiederholt und gesagt, dass das ein seltsamer Filmtitel sei. Er hat gemeint, dass ihm dazu nichts einfalle und er sich alles aus den Fingern saugen müsse. Habe ihn gefragt, ob er sich den Titel ausgedacht hätte, er hat abwehrend Nein, Nein gerufen und gelacht. Ich habe gefragt, ob der Professor rechtsradikal sei, darauf hat er nichts gesagt und dann Das war ein ganz blödes Seminar! Da ist er gegangen und ich bin noch ein paar Längen geschwommen. Schlau werde ich aus all dem nicht! Als er sich wieder beschwert hat, habe ich aus Spaß zu ihm gesagt, dass er Roland Rainer fragen müsse, er hat ja gesagt,fadisiert, blasiert. Weiß er, wer Roland Rainer ist oder hat er nur ja gesagt, weil er wieder nichts verstanden hat? Ich glaube, er sagt solche Sachen immer aus Verlegenheit, er sagt nie etwas direkt. Hat er gesagt Diese Brustschwimmer! weil ich ihn geärgert habe? Aber heute war er mir ganz nahe, er ist am Beckenrand bei meiner Bahn gestanden und hat mich angeschaut. Vielleicht will er das Gegenteil von dem, was er sagt? Ich sage schon gar nichts mehr, weil ich solche Angst habe, etwas Falsches zu sagen. Bin über die Schmelz zum 48A gegangen und ein alter Mann hat mich gegrüßt, wusste zuerst nicht, wer das ist, habe ihn aber angelächelt und ihn auch gegrüßt. Er hat mir zugerufen, dass ich ihn von der Buchhandlung Gerold kenne, damals sei ich noch so ein Mädchen gewesen. Ich habe mich wieder an ihn erinnert, er ist Franzose, ich habe ihn gefragt, ob er nicht mehr dort arbeite, er hat gesagt: Pension.

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