Durch Wien schwimmen

Bin auf die Uni gehetzt, aber es hat noch gar nicht angefangen, wir haben über liberative Demokratie geplaudert, die Dampfplauderer sind da unterwegs, habe mich geärgert, weil der blinde Fleck, die Minderheiten, von denen Hannah Arendt ausgeht, bei Seyla Benhabib wieder verloren geht im Habermasbrei. Danach bin ich zur Stadthalle gefahren, war schon tagelang nicht mehr im Wasser, Adam ist nicht gekommen und ich habe schon befürchtet, er kommt überhaupt nicht mehr, war so glücklich, wieder im Wasser zu sein, habe aber meinen Rhythmus noch nicht gefunden, um halb zwei sah ich ihn, mein Nusszweiglein, war so froh darüber, dass ich los geschwommen bin, er ist neben mir geschwommen, in der sechsten Bahn. Sobald er gekommen ist, waren aber wieder so viele Idioten in seiner Bahn, dass er sich in die Siebte verabschiedet hat, mit seinem Waschbrettchen. Ich hätte es am liebsten geküsst, als er es auf den Startblock gelegt hat, ganz am Anfang. Ich habe ihn angeschaut, wenn er an mir vorbei geschwommen ist, einmal habe ich ihm nachgeschaut und gesehen, dass sein Rücken immer noch haselnussbraun ist und leuchtet, als ob er erst gestern in der Sonne gelegen wäre, aber das stammt noch von Schönbrunn oder vom See in der Nähe. Seine weißen Fußsohlen zappeln beim Kraulen. Ich bin irgendwann raus gegangen, es ist seltsam, sobald Adam im Wasser ist, ist das ganze Becken voll, auch wenn es vorher leer war. Ich habe mir überlegt, was passiert, wenn einer von uns keine Lust mehr auf's Schwimmen hat. Plötzlich waren lauter französische Kinder im Wasser, sie haben dauernd Monsieur gerufen, die Österreicher rufen immer Frau oder Herr Professor, was völlig absurd ist. Ich habe geschaut, wo Adam ist, er schwamm und schwamm, ohne Pause, Ich war bei der siebzigsten Länge, da sah ich ihn weg gehen (oder war es nur ein fremder Mann mit einer blauen Badehose und einem türkisgelben Waschbrettchen?). Bin erschrocken und wollte zu ihm hin schwimmen, er ist aber hinten bei den Duschen weg gegangen, habe ihm gewinkt, aber er hat es nicht gesehen und ich bin wieder zurück geschwommen. Ich war völlig verstört, bin noch ein paar Längen geschwommen und dann auch gegangen. Warum hat er nicht auf mich gewartet? Hat er mich nicht gesehen? Wollte er mich nicht sehen? Hat er sich gedacht, dass ich schon gegangen sei? Er ist um halb zwei gekommen, sonst kommt er immer um dreiviertel eins, ist er später gekommen, weil er mich nicht sehen wollte? Ich war aber schon so lange nicht mehr schwimmen, vielleicht hat er sich gedacht, dass ich später komme oder gar nicht? Ist er hinten bei den Duschen vorbei gegangen, weil er nicht wollte, dass ich zu ihm schwimme oder weil dort so viele Leute gestanden sind? Da werde ich zum Menschenfeind! Er war sichtlich verärgert, weil alle immer in seine Bahn hinein geschwommen sind…. Ein Mann ist in meiner Bahn geschwommen und sobald Adam in der sechsten war, war er auch dort. Einer ist so Delphin geschwommen, dass keiner an ihm vorbei konnte, die Schülerinnen haben sich auf die Schwimmleine gesetzt, undsofort….Ich habe mich so beeilt, damit ich Adam noch treffe, aber wie immer hat er sich in Luft aufgelöst. Die Straßenbahn hatte eine Panne und ist zwanzig Minuten lang nicht gekommen, ich hätte ihn sehen müssen, wenn er mit der Straßenbahn gefahren wäre. Wahrscheinlich ist er mit der U6 gefahren, ich fahre nämlich nie mit der U6. Vor dem Stadthallenbad stehen noch immer Fahrräder, aber kein silbernes.